Geschichte

Die Straßenbahnen der Baureihe N

Die Straßenbahnen der Baureihe Konstal N sind die ersten Straßenbahnfahrzeuge polnischer Produktion, die nach dem 2. Weltkrieg gefertigt wurden. Zwar waren sie nach den damaligen Möglichkeiten die schnellste Antwort auf den Fahrzeugmangel, mit dem viele polnische Städte nach Kriegsende zu kämpfen hatten; doch war diese schnelle Antwort gleichzeitig mit einer Vielzahl von Nachteilen behaftet. Obwohl sich die Fahrzeuge dieser Bauart durch eine robuste, einfache und nicht allzu moderne Konstruktion charakterisierten, waren sie aus unterschiedlichen Gründen durch viele Jahre unentbehrlich und bestimmten auf diese Weise das Straßenbild zahlreicher Städte Polens.

Obgleich die Straßenbahnen der Serie Konstal N aus polnischer Produktion stammen, so entstand die dazugehörige Konstruktion ganz entscheidend im Deutschland der Vorkriegsjahre zunächst in Form des Einheitsstraßenbahnwagens (ESW). Während des 2. Weltkrieges gab es situationsbedingt eine immer größere Nachfrage nach einfachen und leicht zu wartenden Trieb- wie Beiwagen. So wurde ein neuer, stark vereinfachter Straßenbahnwagen konzipiert. Es ist dies die Geburtsstunde des deutschen Kriegsstraßenbahnwagens (KSW); somit war dieser eine außerordentlich vereinfachte Straßenbahn-Konstruktion für den von Mangel und Entbehrungen geprägten Alltag des 2. Weltkrieges. Die Tatsache, dass man zu polnischer Zeit nach dem Kriege eine schon vorhandene Konstruktion praktisch kopiert und keine neue, eigenständige entworfen und projektiert hat, resultierte aus den enormen und unbeschreiblichen Verlusten, welche die polnische Industrie in den Jahren 1939-45 erlitten hat. So begann die Produktion der Baureihe N im Jahre 1948, doch wurden aufgrund Motorenmangels zunächst nur Anhänger dieser Bauart hergestellt (Serie ND); die Triebwagenproduktion wurde erst ein Jahr später aufgenommen. Hergestellt wurden Fahrzeuge der Serie N zum Einen in den Stahlkonstruktionswerkstätten in Chorzów sowie in der Nordwerft in Danzig, wobei erstere das Projekt erarbeitet und seine Entwicklung überwacht sowie die gesamte Verantwortung in seiner Ausführung übernommen haben. Erwähnt werden muss hier, dass in Chorzów auch die entscheidende Mehrheit der N-Wagen produziert wurde. Dieser umgangssprachliche Name rührt vom Attribut N (normalizowany = genormt). Die Gesamtkonstruktion des Wagens sowie alle seine Bauteile unterlagen nämlich den seinerzeit in ganz Polen eingeführten Baunormen. Später wurde die Bezeichnung N zusammen mit der Ordnungsnummer zur standardisierten Bezeichnung aller Fahrzeuge dieser Konstal-Baureihe (beispielsweise die Serien 4N sowie 102N). In den Jahren 1949-56 sind im Ganzen 516 Fahrzeuge der Baureihe N entstanden, danach baute man die Serie 4N, die gegenüber der Vorgängerserie N nur sehr geringfügige Veränderungen aufwies. Eben diese Reihe 4N repräsentiert das hier vorliegende Fahrzeug, der Triebwagen N 1444. Die Straßenbahnen der Baureihe N sowie 4N waren ursprünglich Zweirichtungsfahrzeuge. An jeweils beiden Fahrzeugenden befanden sich die Führerstände, hinter denen die Türen zum Fahrzeug eingebaut waren. Die Wagen dieser Bauart wurden für viele Städte gebaut, in denen ähnlich wie in Breslau nicht jede Endstation gleichzeitig über eine Gleiswendeschleife verfügte. Oftmals handelte es sich hierbei um sog. Gleisenden, welche lediglich dem Richtungswechsel dienten. Die Gesamtlänge dieser Fahrzeuge betrug 10,4m bei einem Eigengewicht von 13 500kg. Jedes Fahrzeug war mit zwei Motoren mit einer Leistung von je 60 KW ausgerüstet, kraft derer die Triebwagen eine Höchstgeschwindigkeit von 55km/h entwickeln konnten. Anfänglich besaßen sie zwei unterschiedliche Bremsarten, : eine elektrische und eine mechanische Bremse (sog. Klotzbremsen). Alle elektrischen Vorrichtungen waren mit Starkstrom aus der Oberleitung angetrieben (in Breslau 600V), was ebenso Heizung als auch Beleuchtung betraf, die ihrerseits wiederum Serienschaltung aufwiesen. Die Scheibenwischer waren handbetrieben. In jedem Fahrzeug fanden 83 Passagiere Platz, wobei die Sitzplatzanzahl in den Wagen der Serie N 12 Sitzplätze, in denen der Serie 4N hingegen 16 Sitzplätze betrug. Der Fahrer verfügte über keinen separaten Führerstand, sondern das Fahrerpult war vom Fahrgastraum lediglich durch einen schweren Vorhang getrennt.

Die Straßenbahnen der Serie N und 4N waren außerdem mit Sandstreuern ausgerüstet, die sich vor Allem im Herbst auszahlten, wenn die Schienen durch herab fallendes Laub derart glatt waren , dass die Treibräder der Straßenbahn die Schienenhaftung vollends verloren; zermalmtes Laub bildet in Verbindung mit Feuchtigkeit einen „rutschigen Schlamm“, der die Wirkung von Schmierseife hat. Sandstreuer gab es ursprünglich vier Stück und zwar unter den jeweils äußersten Endsitzplätzen. Wenn die Räder zu schleudern begannen, konnte der Fahrer durch Betätigung entsprechender Hebel aus jeweils zwei der vier Sandkästen (nämlich aus denen, die sich in Fahrtrichtung befanden) Sand auf die Schienenköpfe streuen, damit die Reibung zwischen Rad und Schiene vergrößert und gleichzeitig die Schienenhaftung wieder hergestellt wurde. Solche Sandkästen waren in allen Vorkriegsstraßenbahnen eingebaut – so auch in den polnischen Straßenbahnen der Nachkriegszeit; gegen Ende der 60-er, zu Beginn der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts begann man zusehends, auf Sandkästen zu Gunsten anderer technischer Einrichtungen zu verzichten. Jedoch stellte sich heraus, das eben diese Sandkästen am Besten dazu geeignet sind, dem Schleudern der Antriebsräder effizient vorzubeugen. Dieser Umstand führte dazu, dass man heute wieder zu den althergebrachten Sandkästen zurückkehrt.

Die ersten Exemplare der Baureihe N gelangten im Jahre 1956 nach Breslau. Insgesamt wurden die hiesigen Städtischen Verkehrsbetriebe mit 49 Trieb- sowie 109 Beiwagen dieser Serie beliefert. In den Jahren 1957-62 kamen die Lieferungen der leicht veränderten 4N und 4ND-Version (Anhänger) hinzu; von 1964-69 wiederum gelangten aus Warschau bereits aus dem Verkehr gezogene Fahrzeuge der Bauart N nach Breslau und zwar 57 Trieb – sowie 105 Beiwagen, sprich Anhänger. Somit war man nunmehr im Stande, die Wagen aus Vorkriegsproduktion sukzessive aus dem Verkehr zu ziehen, so dass mit der Zeit die damals neuen N-Wagen das Breslauer Straßenbild entscheidend zu dominieren begannen. Dennoch konnte man in Breslau noch viele Jahre Vorkriegswagen mit einem N-Anhänger beobachten. Dies erklärt der Umstand, dass unter den Erstlieferungen von N-Wagen sich bedeutend mehr Anhänger als Triebwagen befanden.

Ab Mitte der 60-er Jahre begann man mit der Modernisierung der Breslauer N-Wagen. Die größte Veränderung war hierbei der Umbau zu Einrichtungsfahrzeugen. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es nunmehr überall ausgebaute Gleiswendeschleifen an den Endhaltestellen gab. So wurde jeweils ein Führerstand sowie die dazugehörigen Sandkästen zurückgebaut. Anstelle des ehemaligen Führerstandes installierte man Spannungsumformer, um Hochspannung (600V) in niedere Spannung (40V) umwandeln zu können. Aufgrund der im Wagen vorhandenen Hochspannung war es möglich, die Fahrzeuge mit einer elektromagnetischen Schienenbremse (was bereits die 3. Bremsart war), Scheinwerfern, Positionslampen sowie einem elektronischen Läutewerk auszurüsten. Auch die Wagentüren wurden stark verändert. Diese waren ursprünglich einteilig, sehr schwer und massiv und wurden per Hand Richtung Kupplung hin geöffnet. Jedoch waren diese Türen aufgrund ihres großen Gewichts sehr gefährlich. So wurden sie nach und nach durch zweiteilige Schiebetüren ersetzt, die wiederum ab 1967 durch kleine elektronische Motoren angetrieben wurden; somit war ein automatisches Öffnen und Schließen derselben vom Führerstand aus gewährleistet. Interessant hierbei ist, dass zum Antrieb dieser neuen Türen seinerzeit Kleinmotoren von Bohrmaschinen zur Anwendung kamen; des Weiteren bestand die gesamte Schiebemechanik der Tür aus Fahrradketten und –stangen.

In den 80-er Jahren begann der Stern der N und 4N Wagen mit der Neulieferung von Triebwagen der Baureihe 105Na rapide zu sinken, denn nun waren sie es , die außer Betrieb gestellt wurden. Die letzten Exemplare der Serie N bzw. 4N standen in Breslau bis 1991 im täglichen Planeinsatz. Heute sind in der Hauptstadt Niederschlesiens bloß noch wenige Exemplare dieser beiden Serien (N+4N) vorhanden, die entweder als Werksfahrzeug oder gar nicht mehr genutzt werden; unter diesen wenigen befindet sich auch der historische Triebwagen mit der Ordnungsnummer 1444. Er ist ein Repräsentant der Serie 4N. Im Jahr 2012 wurde dieser Triebwagen vom Verein der Sympathisanten und Freunde öffentlicher Verkehrsmittel wieder aufgearbeitet und betriebsfähig hergerichtet. Bei diesem Verein handelt es sich um einen Kreis von Liebhabern historischer Verkehrsmittel, insbesondere alter Straßenbahnen und Busse. Der Triebwagen mit der Ordnungsnummer 1444 wurde im Jahre 1960 gebaut und stand bis 1991 im täglichen Linienbetrieb; nach seiner Außerdienststellung war er von den Städtischen Verkehrsbetrieben zum Werks- und Wirtschaftsfahrzeug bestimmt worden. Dank der wohlwollenden Haltung auf Seiten des Vorstandes unserer Verkehrsbetriebe gelang es dem Verein , diesen Triebwagen käuflich zu erwerben und ihn wieder in den Zustand zurückzuversetzen, in welchem sich die Fahrzeuge der Reihe N und 4N gegen Ende ihres tägliches Planeinsatzes präsentierten. Modifizierte und ebenso nachgerüstete Triebwagen dieser Baureihe existieren in betriebsfähigem Zustand in den Städten Krakau, Kattowitz, Posen, Stettin und Warschau.